Oliver von Knebel Doeberitz
(1975-2023)

Nachruf Prof. Dr. Oliver von Knebel Doeberitz

Nachricht vom 06.03.2023 

Am 17. Februar 2023 ist Prof. Dr. Oliver von Knebel Doeberitz vollkommen unerwartet im Alter von nur 48 Jahren verstorben. Oliver von Knebel war seit 2015 Professor für British Cultural Studies an der Universität Leipzig und seit 2016 Studiendekan bzw. Prodekan Studium der Philologischen Fakultät. Seit Herbst 2022 war er zudem 1. Vorsitzender der German Association for the Study of British Cultures (BritCult).

Prof. Dr. Oliver von Knebel Doeberitz (1975-2023)

Prof. Oliver von Knebel Doeberitz war ein erstklassiger Forscher und Wissenschaftler, ein überaus engagierter und begabter Hochschullehrer, ein zielgerichteter und verständnisvoller Förderer des wissenschaftlichen Nachwuchses und ein ebenso inspirierter wie strukturierter Planer wissenschaftlicher und institutioneller Prozesse. In seinen leider nur wenigen Jahren als Hochschullehrer an der Universität Leipzig hat er die Philologische Fakultät wesentlich und das Institut für Anglistik entscheidend mitgeprägt. Er hat 2019 als erster Anglist nach der Wende den renommierten Anglistentag nach Leipzig geholt und damit wie in seinem Wirken in den British Cultural Studies die Leipziger Anglistik in Deutschland leuchten lassen.

Es war eine glückliche Fügung für die Universität Leipzig und für die British Cultural Studies, ihn auf diese Professur berufen zu haben – und er war glücklich, mit dieser erfüllenden Position betraut worden zu sein.

Oliver von Knebel Doeberitz kam 1994 – noch unter dem Namen Oliver Lindner – als Student an die Universität Leipzig, um bis 2000 Deutsch und Englisch auf Lehramt für Gymnasien zu studieren. Ein längerer ERASMUS-Studienaufenthalt in Wolverhampton vertiefte seine Interessen an der englischen Sprache, Literatur und vor allem Kultur und hat entscheidend zu seinem weiteren beruflichen Werdegang beigetragen. Von 2000 – 2003 war er Doktorand bei Prof. Elmar Schenkel und bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik der Philologischen Fakultät in den Bereichen der Literaturwissenschaft und Kulturstudien Großbritanniens. Promotion und Referendariat schloss er 2003 bzw. 2004 mit zielstrebiger Präzision nahezu zeitgleich ab. Seine Dissertationsschrift mit dem Titel ‘Solitary on a Continent‘: Raumentwürfe in der spätviktorianischen Science Fiction (publiziert 2005 unter dem Namen Oliver Lindner im Olms Verlag Hildesheim) zeugt schon von dem ausgeprägten Interesse an historischen Texten und Zeit- und Raumkonstrukten, die auch spätere Arbeiten prägten.

Die an der Leibniz Universität Hannover eingereichte und viel beachtete Habilitationsschrift  „Matters of blood“: Defoe and the cultures of violence (publiziert 2010 unter dem Namen Oliver Lindner bei Winter in Heidelberg) schließt mit Defoes klassischem Roman an das historische Interesse an und bedient im Thema die Verbindung von britischer Literatur- und Kulturwissenschaft, die Oliver von Knebel bei aller späteren Profilierung im eigenständigen Bereich der Cultural Studies doch immer forschend gelebt hat, wie seine mit 61 Positionen beeindruckende Publikationsliste beweist.

Zwischen beiden Texten und bis zur Berufung an die Universität Leipzig vertrat Oliver von Knebel vor allem das Gebiet der englischen Fachdidaktik, wofür er durch Studium und Referendariat prädestiniert war. An den Universitäten Eichstätt und Regensburg vertrat er Professuren der englischen Fachdidaktik, in Bayreuth baute er als Akademischer Rat die dortige Englischfachdidaktik nach Einführung der Lehramtsstudiengänge auf, bis er 2011 an die Universität Kiel auf die Fachdidaktikprofessur mit dem Schwerpunkt englische Literatur und Kultur berufen wurde. Hielten zu Zeiten seiner hauptsächlichen Lehre in der Didaktik die Gebiete „literature and culture“ die thematische Verbindung zu seinen Hauptinteressen, wurde später seine didaktische Kompetenz prägend für die Vermittlung seiner (Forschungs-) Themen in der Lehre. Von der Einführungsvorlesung zur Geschichte Großbritanniens über die Vorlesung zu Theorien der Cultural Studies bis zu zahlreichen Spezialseminaren v.a. zur britischen Medien- und Populärkultur begeisterte er die Studierenden durch klare didaktische Strukturen und fachliche wie rhetorische Brillanz. Hervorzuheben ist besonders die Aktualität der Themen seiner Lehrveranstaltungen, die von Social Media und Digital Consumption über Horrorfilm und Streaming Services bis zu Celebrity Culture und Brexit reichten. Das für das kommende Sommersemester angekündigte Seminar zu „Africa and the British: A Troubled History, 1700-2023“ deutet auf ein weiteres Feld seiner Forschung und Lehre, welches den Fachbereich sehr bereichert hat und das nun schmerzlich vermisst wird.

Ein Blick auf die Vielzahl von Publikationen, die Oliver von Knebel in vergleichsweise kurzer Zeit veröffentlicht hat, lässt die Breite seiner Interessen und die Tiefe seiner Beschäftigung mit hochaktuellen Themen der British Literary and Cultural Studies erahnen: neben den oben erwähnten Feldern zählten dazu Adaptation Studies, Black British Culture, Comedy, Indien, die Kultur des 18. Jahrhunderts, Musikvideos, postkoloniale Ansätze, (Londoner) Stadtkulturen, Utopien und Dystopien und vieles mehr. In den letzten Jahren widmete er sich verstärkt dem von der DFG geförderten Forschungsprojekt „Adaptionen von Robinson Crusoe in der anglophonen Literatur und Populärkultur im 21. Jahrhundert“, in dem er mehrere seiner Forschungsinteressen verband und sich besonders für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Promotionsstellen einsetzte. Sein Verhältnis zu Doktoranden und Mitarbeitern des Fachbereichs war gleichermaßen respektvoll und wertschätzend wie fordernd und unterstützend. Er hatte jederzeit den Gesamtkontext und das jeweilige Endziel vor Augen und schaffte es, sein Team zielgerichtet darauf hinzuführen und zu motivieren. So konnten wiederholt hervorragende wissenschaftliche Leistungen erzielt werden. Oliver von Knebel war in der deutschen Anglistik äußerst respektiert und hervorragend vernetzt, was die gemeinsame Herausgabe mehrerer Sammelbände mit verschiedenen renommierten Anglisten sowie eine von ihm verantwortete Ausgabe des Journal for the Study of British Cultures belegt. Die Ausrichtung des Anglistentages 2019 und der Jahrestagung der German Association for the Study of British Cultures 2021 (letztere als Online-Konferenz aufgrund der Corona-Situation) gehen auf seine Initiative zurück und blieben auch Dank des von ihm geführten Teams der Fach-Community nachhaltig in Erinnerung. Die Wahl zum Vorsitzenden der BritCult im November 2022 ist Ausdruck der Wertschätzung seiner Fachkolleg:innen und hat ihn in seiner Arbeit bestätigt. Der Verlust für die Association und die deutsche Anglistik ist enorm und wird nur schwer zu verwinden sein.

Vor allem aber wird Oliver von Knebel uns allen als bescheidener, fröhlicher, sachlicher und innovativer Hochschullehrer, Wissenschaftler und Mensch in Erinnerung bleiben, der in der Lehre, in Meetings, auf dem Gang oder in seinem Zimmer stets gute Laune verbreitete. Er fällte klare Entscheidungen mit und für sein Team, kommunizierte sie sachlich und mit Bedacht – vor allem wenn sie nicht nur positive Botschaften enthielten. Er war äußerlich ein zurückhaltender Mann, der Privates und Dienstliches trennte, aber wer ihn besser kannte, wusste auch um seine Herzlichkeit, Mitgefühl, Wärme und vor allem sein Interesse an anderen Menschen. Seine Familie war ihm äußerst wichtig, die Kinder waren zunehmend der Fokus seiner Berliner Freizeit, und das jährliche Leipziger Wave-Gotik-Treffen blieb ein fixes Ereignis in seinem Kalender vom Studium bis zuletzt.  Überhaupt war Leipzig ein Zentrum seines Lebens, in der Mitte zwischen Werdau, seiner Herkunft, und Berlin, seinem Wohnort und privaten Mittelpunkt.

Nun müssen wir auf unseren außerordentlich geschätzten Kollegen Oliver von Knebel verzichten. Er fehlt und wird eine große Lücke hinterlassen. Um es mit den Worten Lord Byrons zu sagen:

  So, we’ll go no more a roving
So late into the night,
Though the heart be still as loving,
And the moon be still as bright.

For the sword outwears its sheath,
And the soul wears out the breast,
And the heart must pause to breathe,
And love itself have rest.

Wir werden ihn nie vergessen. Unsere tiefe Anteilnahme gilt seiner Familie, seinen Angehörigen und besonders seinen Kindern.

Erstellt von: Dr. Jürgen Ronthaler