Herbert Pilch
(1927-2018)

Herbert Pilch gehörte zur anglistischen Pioniergeneration, die nach dem Zweiten Weltkrieg einerseits das Erbe der philologischen Tradition für die Gegenwart bewahrte, andererseits die durch Nationalsozialismus und Krieg erzwungene Isolation überwand und den Kontakt zur internationalen Entwicklung in der Sprachwissenschaft wieder herstellte.

1927 in Ostpreußen geboren, nahm Herbert Pilch in Kiel das Lehramtsstudium in den Fächern Englisch, Französisch und Russisch auf, das er 1952 mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Schon im Jahr davor war er mit einer sprachgeschichtlichen Arbeit zum „Untergang des Präverbs ge- im Englischen“ promoviert worden. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wandte er sich für die Habilitation einem literaturgeschichtlichen Thema zu, nämlich einer Werkanalyse des alliterierenden mittelenglischen historiographischen Langgedichts Brut. Die 1957 in Kiel angenommene Schrift erschien 1960 als Layamons Layamons ‚Brut‘: eine literarische Studie.

Schon während der Arbeit an der Habilitation und in einer Zeit, in der längere wissenschaftliche Auslandstätigkeit auch für Anglisten durchaus noch keine Selbstverständlichkeit war, absolvierte er 1953 einen Forschungsaufenthalt in Yale, im Rahmen dessen er sich durch Zusammenarbeit mit Bernard Bloch und dem damals ebenfalls in Nordamerika tätigen André Martinet mit dem aktuellen Forschungsstand in der modernen strukturellen Linguistik vertraut machen konnte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland baute er diese Anregungen zu einem eigenständigen, der internationalen strukturalistischen Tradition verpflichteten Ansatz in Phonologie und Syntax aus. Nach Extraordinariaten in Köln und Frankfurt wurde er 1961 an die Universität Freiburg berufen, der er trotz eines Rufs nach Köln (1967) bis zu seiner Emeritierung 1995 verbunden blieb. Auch in den Jahren danach blieb er in Forschung und Lehre aktiv, solange es seine Gesundheit zuließ.

Als Beleg für seine nachhaltige Wirkung als Vermittler strukturalistischer Ansätze in der deutschen Anglistik der sechziger Jahre mag das Standardwerk Phonemtheorie gelten, das zuerst 1964 erschien und bis 1974 zwei weitere Auflagen erlebte. Die Summe seiner Forschungen zur Lautlehre des Englischen legte er 1994 in seinem mehr als 700 Seiten umfassenden Manual of English Phonetics vor. Einen zweiten Schwerpunkt bildete auch weiterhin die Sprachgeschichte, insbesondere des Altenglischen, wo er sich gleichermaßen der sprachgeschichtlichen wie der literatur- und kulturgeschichtlichen Seite des Gegenstands widmete. Die Altenglische Grammatik (1970) war innovativ in der Anwendung strukturalistischer Beschreibungsprinzipien auf eine historische Sprachstufe; die 1979 gemeinsam mit seiner Schülerin Hildegard Tristram verfasste Einführung Altenglische Literatur befindet sich heute noch in Gebrauch. Ein Forschungsgebiet, das er sich in der Freiburger Zeit neu erschloss und sogar als eigenständiges Fach etablierte, war die Keltologie, also das im deutschsprachigen Raum nur an wenigen Standorten etablierte Studium der keltischen Sprachen und Literaturen. Ganz dezidiert einem Bild des Sprachforschers verpflichtet, für den praktische Beherrschung und wissenschaftliche Erforschung einer Sprache zusammengehören, erwarb er sich flüssige Kenntnis des modernen Walisisch, publizierte jedoch im gesamten Bereich der Keltologie. Das über 700 Seiten starke Überblickswerk Die keltischen Sprachen und ihre Literaturen erschien im Jahr 2007, dem Jahr, in dem er seinen 80. Geburtstag feierte.

Als markante Forscher- und Lehrerpersönlichkeit hat Herbert Pilch das Englische Seminar der Universität Freiburg über viele Jahrzehnte mit geprägt. Er war auf beeindruckende Weise vielsprachig, sowohl was die praktische Beherrschung der Sprachen betraf als auch in Hinblick auf ihre wissenschaftliche Beschreibung. Internationale Reputation erwarb er sich nicht nur innerhalb der Anglistik, sondern auch in der kleinen, aber international bestens vernetzten Gemeinde der Keltologinnen und Keltologen. In allen seinen Arbeitsgebieten regte er Schülerinnen und Schüler an, von denen mehrere ihrerseits auf Professuren berufen wurden. Als kreativer Ideengeber war er der produktiven wissenschaftlichen Kontroverse nicht abgeneigt: wissenschaftlich immer auf der Höhe der Zeit, aber nicht notwendigerweise Teil des Mainstreams. Für seine eigenen Ideen und seine einmal als richtig erkannten Prinzipien stand er auch jenseits der wissenschaftlichen Forschung ein, in der Lehre und im akademischen Leben wie auch im Alltag. Bisweilen war er seiner Zeit dabei weit voraus, so etwa beim Übergang zum Englischen als Unterrichtssprache in der anglistischen Lehre, den er früh vollzog. Wenn die hochschulpolitische Entwicklung in aus seiner Sicht unerwünschte Richtung ging, arrangierte er sich mit den Verhältnissen nach einer angemessenen Phase hinhaltenden Widerstands. Wissenschaftspolitische Verdienste erwarb er sich unter anderem durch die Pflege der Partnerschaft mit der Universität Iaşi in Rumänien, die er auch in politisch komplexen Verhältnissen weiterführte. Den umweltpolitischen Anliegen der ökologischen Bewegung stand er zeitlebens mit Sympathie gegenüber, auch wenn er das tagespolitische Engagement in der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) nach wenigen Jahren aufgab.

Herbert Pilchs wissenschaftliches Wirken wurde unter anderem durch zwei Ehrendoktorate (St. Andrew’s, Schottland, 1984, und Iaşi, Rumänien, 1990) gewürdigt. Für seine Lebensleistung wurde ihm im Jahr 2008 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

(Christian Mair)